Erwerbsobliegenheit im Unterhaltsrecht

Erwerbsobliegenheit im Unterhaltsrecht – Ein Überblick

 

Was bedeutet Erwerbsobliegenheit?

Unter Erwerbsobliegenheit versteht man die Obliegenheit, seine Möglichkeiten unter Einsetzung der eigenen Arbeitskraft auszuschöpfen, um dadurch Einkünfte zu erzielen.
Damit ist also zunächst die Verpflichtung beschrieben einer beruflichen Beschäftigung nachzugehen.
Mit dieser Verpflichtung soll einerseits erreicht werden, dass ein Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann oder aber, dass ein Gläubiger selbst genügend Einkommen erzielen kann, um seinen Lebensunterhalt weitestgehend selbst zu finanzieren. Erwerbsobliegenheit im Unterhaltsrecht kann demnach sowohl den Unterhaltsschuldner als auch den Unterhaltsempfänger treffen.
Der jeweils Betroffene muss, falls er keiner beruflichen Beschäftigung nachgeht, zumindest eindeutig nachweisen, dass er sich ernsthaft um eine geeignete Anstellung bemüht.

 

Gesteigerte Erwerbsobliegenheit beim Kindesunterhalt

Eltern sind ihren minderjährigen Kinder zum Unterhalt verpflichtet.
Gemäß § 1603 Abs. 2 BGB besteht gegenüber minderjährigen Kindern sogar eine gesteigerte Unterhaltspflicht.
Aus dieser gesteigerten Unterhaltspflicht ergibt sich auch eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit.
Wenn das erwirtschaftete Einkommen nicht ausreicht, um den Mindestunterhalt zu zahlen, ist der Unterhaltsschuldner dazu verpflichtet seine Arbeitskraft in bestmöglichster Weise einzusetzen.
Über den Mindestunterhalt hinausgehende Ansprüche begründet die Erwerbsobliegenheit in der Regel nicht.
Grundvoraussetzung für jeden Unterhaltsanspruch ist zunächst die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Dies gilt mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch bei der gesteigerten Erwerbsobliegenheit.
Damit ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltsverpflichtete in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt leisten.
Wird die Grenze des Zumutbaren überschritten, kann die finanzielle Dispositionsfreiheit des Unterhaltsverpflichteten vor dem Grundrecht der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht mehr einschränkt werden.
Für eine erfolgreiche Berufung auf die Leistungsunfähigkeit hat der Unterhaltsverpflichtete vor Gericht ein nicht ausreichendes Einkommen nachzuweisen und muss zugleich beweisen, dass ihm kein höheres Einkommen möglich ist.

Besteht die Leistungsfähigkeit können die Eltern im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit, in zumutbaren Grenzen, dazu verpflichtet sein, einen Orts- oder Berufswechsel vorzunehmen, damit sie den Mindestunterhalt für ihre Kinder aufbringen können. Gemäß der Rechtsprechung des BGH müssen Eltern alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und müssen unter Umständen sogar berufsfremde Tätigkeiten unterhalb ihrer gewohnten Lebensstellung aufnehmen.

Wird den Verpflichtungen, die sich aus der gesteigerten Erwerbsobliegenheit ergeben, nicht nachgekommen, sind unter dem Geschichtspunkt der Verhältnismäßigkeit fiktive Einkünfte anzurechnen, die der Unterhaltspflichtige durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte.
Zwei Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit fiktive Einkünfte bei der Berechnung des Unterhalts angerechnet werden dürfen:

  • subjektiv müssen die Erwerbsbemühungen des Unterhaltsverpflichteten fehlen
  • objektiv müssen die erforderlichen Einkünfte von dem Verpflichteten tatsächlich erzielbar sein

Dies hängt insbesondere von persönlichen Voraussetzungen des Unterhaltsverpflichteten, wie dem Alter, dem Gesundheitszustand oder der berufliche Qualifikation ab. Jedoch müssen auch außerhalb der Person des Unterhaltsschuldner liegende Faktoren, wie das Vorhandensein möglicher Arbeitsplätze geprüft werden

 

Erwerbsobliegenheit beim Unterhalt für ein volljähriges Kind

Für die Erwerbsobliegenheit beim Unterhalt für ein volljähriges Kind gilt grundsätzlich das gleiche, was nachfolgend für geschiedene Ehegatten ausgeführt wird.
Es ist jedoch bei unterhaltsberechtigten, volljährigen Kindern zu beachten, dass die Arbeitsverpflichtung nur bei Zumutbarkeit besteht.
Während eines Erststudiums oder einer ersten Berufsausbildung besteht keine Verpflichtung des Kindes einen Nebenjob anzunehmen, um den Lebensunterhalt eigenständig zu finanzieren.

 

Erwerbsobliegenheit beim Ehegattenunterhalt

Trennungsunterhalt
Nach § 1361 BGB kann ein Ehegatte von dem anderen, wenn die Ehegatten getrennt leben, nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen.
Ein Ehegatte, der während der Ehe nicht gearbeitet hat, soll auch während des Trennungsjahres nicht arbeiten müssen. Er bekommt Trennungsunterhalt.
Die Erwerbsobliegenheit ist somit beim Trennungsunterhalt grundsätzlich nicht gegeben. Der Grund hierfür ist, dass der Trennungsunterhalt zunächst nicht den Lebensunterhalt gewährleisten soll, sondern zur weitestgehenden Aufrechterhaltung des ehelichen Standards dienen soll.
In bestimmten Fällen entsteht die Erwerbsobliegenheit jedoch auch schon während des Trennungsjahres:
War die Ehe nur von kurzer Dauer und sind keine Kinder daraus entstanden, kann die Erwerbspflicht auch schon vor Ablauf des Trennungsjahres entstehen.
Je länger die Trennung dauert, desto stärker wird die Erwerbspflicht.
Entscheidend sind persönliche Faktoren wie berufliche Qualifikation, Zeitpunkt der letzten Berufstätigkeit, Lebensalter, Betreuung der Kinder und Dauer der Ehe.
Jedenfalls ab dem dritten Trennungsjahr wird der unterhaltsbegehrende Ehepartner regelmäßig eine Erwerbstätigkeit aufnehmen müssen, auch wenn die Ehe lange dauerte und er früher keiner beruflichen Beschäftigung nachging.

Ehegattenunterhalt
Spätestens nach der Scheidung ist der geschiedene Ehegatte gemäß § 1574 BGB grundsätzlich dazu verpflichtet, sich um eine geeignete Erwerbstätigkeit zu bemühen, um möglichst für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen.
Aber auch hier sind Ausnahmen von der Erwerbsobliegenheit zu vermerken:
Ist der nacheheliche Unterhalt aufgrund der Betreuung eines bis zu dreijährigen Kindes, aufgrund von Alter oder aufgrund von Krankheit zu leisten, entfällt die Erwerbsobliegenheit. Eine solche wäre in den aufgezählten Fällen nicht zumutbar.
Bei dem Fall der Kinderbetreuung ist zu beachten, dass die Erwerbsobliegenheit auch entfällt, wenn es sich um ein Kind handelt, das der Unterhaltsberechtigte mit in die Ehe gebracht hat. Grundsätzlich ist dann ab dem dritten Geburtstag des Kindes der Ehegatte zu einer Vollzeittätigkeit verpflichtet. Allerdings nur, sofern die Kinderbetreuung dies zulässt.
Sollte der geschiedene Ehegatte trotzdem arbeiten, spricht man von sogenannten Einkünften aus „überobligatorischer Tätigkeit“. Diese Tätigkeit kann grundsätzlich jederzeit beendet werden, ohne dass ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit vorliegt. Zudem werden Einkünfte aus einer überobligatorischen Tätigkeit nur anteilig als eigenes Einkommen angerechnet.

Vereinbaren Sie gerne einen Besprechungstermin, in dem wir auf alle für Sie relevanten Aspekte eingehen.

 

Ihr Ansprechpartner im Erbrecht:

Rechtsanwalt Martin Weber, LL.M.
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